Abtei St. Hildegardpreloader-image

Mit den Füßen beten

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Pilgern auf dem Klostersteig im Rheingau

Raus in die Natur ruft es zurzeit in meinem Kopf. Den aber auch freimachen von unnötigen Gedanken und immer wiederkehrenden Fragen.

 

Alleinsein, pilgern, mit den Füßen beten - das fällt mir dazu ein. Aber wie? Das wo habe ich schnell entschieden: im benachbarten Rheingau gibt es einen Pilgerweg: den Klostersteig. Wer mich kennt, der weiß, Alleinsein können ist nicht meine größte Tugend. Aber ich nehme die Herausforderung an und plane meinen Weg. Der 30km lange Klostersteig führt vom Kloster Eberbach nahe Eltville über verschiedene Stationen zur Marien Kirche in Rüdesheim Aulhausen. Ich entscheide mich, meinen Weg kurz vor der letzten Station an der Abtei St. Hildegard zu beginnen und dann die Strecke quasi rückwärts zu beschreiten. Im Garten vor der Abteikirche treffe ich Schwester Philippa Rath. Von ihr erhoffe ich mir einen spirituellen Startschuss.

Pilgern als Buße

Die Motive für den modernen Pilgerer sind heute sehr individuell, erklärt die Ordensschwester. Wo früher oft die Buße für begangene Sünden im Mittelpunkt stand, sind es heute wichtige Lebensentscheidungen, die Suche - nach Gott, sich selbst und der Verbindung zum inneren Ich. Wenn die Menschen keinen Zugang zu sich finden und ihnen das bewusst wird, kann das ein Grund sein, eine Pilgerreise anzutreten, beschreibt es Schwester Philippa Rath. Das berühmte Loslassen ist ein essenzieller Wunsch des Menschen, wenn er pilgert. 

Ob sie mir einen Rat geben kann, wie ich das am besten schaffe, möchte ich wissen. Der müsse von oben kommen oder aus dem Inneren, weiß sie zu berichten. Wenn man das was kommt einfach geschehen lasse. Ich ermutige jeden, Schritt für Schritt zu erleben und dabei Herz und Ohren zu öffnen, so werde ich samt Pilgerpass auf die Reise geschickt. Ich, ganz allein, mit meinen Gedanken. Für wie lange? Wie lange dauert es, bis ich den Kopf vom Alltag ausschalte und anfange, mich nur auf den Weg und mich zu besinnen? 

Von Kloster zu Kloster

Bei strahlend blauem Himmel ziehe ich los in Richtung Schloss Johannisberg, das ich in der Ferne schon sehen kann. Dazwischen die typischen Weinberge, ein Blick in den Rheingau at its best. Die erste Zeit bin ich schwer mit mir beschäftigt und so rauschen die ersten 3,3 km an mir vorbei. Am kleinen Kloster Nothgottes, meiner ersten Etappe, besinne ich mich auf meinen Pilgerweg und hole mir den zweiten Stempel für meinen Stempelpass. Zum Kloster Marienthal, meiner nächsten Station, geht es durch den Wald. Durch das noch lichte Laubdach der Buchen blinzelt sanft die Morgensonne. Ich bin gerne in der Natur, es gibt so viel zu entdecken.

Was entdecke ich an mir? Zunächst mal, dass ich langsamer werde. Ich lasse mir Zeit. Niemand hetzt und drängt mich. In der Ferne höre ich Stimmen. Die ersten seit über einer Stunde. In der Nähe des Offermannteichs, erschafft eine Familie ihre eigene kleine Märchenwelt, Kinder lachen und spielen am Bachlauf. Ich merke mir den Platz für spätere Ausflüge. Der Weg hier ist breit, fast schon eine Allee. Eben noch gut geschützt vom Blätterdach wird jetzt der Wald lichter und der Blick auf den Himmel ist wieder frei. Und ich merke, dass ich mich freue, nach der Kühle des Waldes die wärmende Sonne wieder auf meiner Haut zu spüren.

Der Weg ist das Ziel

Irgendwie hat dieser Spruch nie mehr Sinn gemacht als jetzt. Es sei aber wichtig, dass es ein Ziel gibt, erinnere ich mich an die Worte von Schwester Philippa Rath. Nur der Weg allein ist es dann doch nicht. Bevor ich mich an den ziemlich steilen Abstieg Richtung Kloster Marienthal mache, werfe ich einen Blick zurück und entdecke im Blätterwald eine kleine Kapelle auf deren Stufen ich kurz verweile. Die Ketteler Kapelle ist ein hübscher Ort, um auszuruhen. Weiter unten bemerke ich einen kleinen Steinhaufen und erinnere mich, dass das Steine ablegen zu den Pilger-Traditionen gehört. Ich weiß zwar nicht warum, aber ich beteilige mich. Später lese ich es nach: Das Ablegen eines mitgebrachten Steins symbolisiert die Sünden, die man hinter sich lässt. Und dann betrete ich das Gelände Kloster Marienthal quasi durch den Hintereingang. Ich lasse mich auf einer der vielen Bänke vor dem Gotteshaus nieder, ein Platz der offensichtlich für Gottesdienste im Freien gedacht ist und sitze in der Sonne. Ein Trimm Dich Pfad für die Seele heißt es hier.

Weinberge und Ruhepunkte

Nachdem ich noch eine bezaubernde Stelle im Elsterbachtal samt süßer Holzbrücke gefunden habe, verlasse ich den Wald für eine längere Zeit und bin wieder in meinen geliebten Weinbergen. Vorbei an ein paar Bienenvölkern, kann ich Schloss Johannisberg schon sehen. Der Aufstieg wird sportlich, aber den Blick von dort kenne ich und er lohnt sich. In der Basilika neben dem Schloss hole ich mir den vierten Stempel. An jeder Station des Klostersteigs stehen sogenannte Impulstafeln, die mit Sprüchen oder Psalmen oder Gedichten zum Nachsinnen anregen. Diesen hier an der Abtei finde ich besonders passend: Einer der schönsten Momente im Leben ist wohl der Aufbruch zu einer langen Reise ins Unbekannte....Er empfindet ungeahntes Glück...im Dämmern eines neues Morgens, eines neuen Lebens. Während ich diese Etappe hinter mir lasse, genieße ich so den Blick hinunter ins Tal, auf den Rhein und die Weindörfer Winkel und Oestrich bis zur Mariannenaue. Hoch und runter durch die Weinberge strengt mich ziemlich an, vor allem das Hoch jetzt am ziemlich warmen frühen Nachmittag. Das letzte Stück für heute führt mich wieder in den Wald und ich bin dankbar.

Etwa auf halbem Weg zwischen zwei Ruhepunkten treffe ich Wanderführer Wolfgang Blum. Der gebürtige Rheingauer ist Mit-Initiator und Wege-Pate des Klostersteigs. Vom Ideengeber (Dr. Dr. Caspar Söling), dem geschäftsführenden Direktor des Sankt Vincenz Stiftes in Aulhausen, hat sich Blum 2015 von der ersten Minute an für dieses Projekt begeistern lassen. Wir wandern zu einem seiner Lieblingsorte auf dem Klostersteig: dem Pfingstbachgraben, einem der abgelegensten Teile der Pilgerstrecke. Hier sind wir am Ehesten am Weitesten entfernt von dem, was uns belastet, erklärt der Wanderführer. Zusammen mit Söling hat sich Wolfgang Blum die Strecke für den Klostersteig ausgedacht. Gerade der Beginn von Kloster Eberbach bis zur Hallgartener Zange ist einer der anspruchsvollsten Abschnitte geworden. Wir hätten es uns auch leicht machen können und den Weg durch die Weinberge führen, erzählt Blum. Aber wir wollten gleich am Anfang eine Strecke, bei der die Menschen ihren Körper spüren und den Kopf ausmachen müssen." Pilgern hat auch immer etwas mit Leiden zu tun, lacht er. Und das kann ich nach fast 20 gelaufenen Kilometern gut verstehen. Kurz vor dem Ruheplatz streiken meine Beine und mein Pilgertag ist beendet.

Was nun?

28.164 Schritte später die bange Frage: Was hat es mir gebracht? Außer einem schlimmen Muskelkater am Tag danach. Ich habe auch hier die Worte von Schwester Philippa Rath wieder im Ohr. Man kann nichts erzwingen. Es muss aus dem Inneren kommen, aus dem Herzen! Bei mir ist es die Erkenntnis: ich kann mir auch mal allein genug sein.

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