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Erfrischende Ausflugsziele

Diemelsee

Copyright Eye Icon© Udo Bernhart

Eine Frage der Perspektive

Wer das Wasser liebt, ist am nordhessischen Diemelsee gut aufgehoben, wer die Natur liebt, umso mehr. Rund um den gerade mal 100 Jahre alten Stausee führen tolle Wanderwege, die mit einer Schifffahrt kombiniert werden können. Der Fährschiff-Höhenwanderweg ist einer davon. 

 

„Mann, bin ich klein“, denke ich und starre senkrecht nach oben. Wir stehen vor einer knapp 200 Meter langen und 42 Meter hohen Mauer. Auch meine Freunde Claudia und Raphael, die in der Nähe leben und mir heute den Diemelsee zeigen wollen, haben den Kopf in den Nacken gelegt und schauen in den Himmel. Schon etwas schummrig vom langen ungläubigen Gucken nach oben, senke ich den Blick und konzentriere mich auf die Muster vor mir. Mit den Fingern fahre ich über die dunkelgrauen, unterschiedlich großen Steinbrocken, die vor über 100 Jahren mit großer Sorgfalt und einer Menge Mörtel zu dieser kolossalen, leicht gekrümmten Staumauer aufgeschichtet wurden. Auf der anderen Mauerseite, nur weniger Meter von uns entfernt, drängt sich die Wucht von 20 Millionen Kubikmeter Wasser. Ein Gedanke, bei dem sich mir die Nackenhaare aufstellen.

Der Diemelsee ist relativ jung. Erst seit 100 Jahren werden hier im nordhessischen Landkreis Waldeck-Frankenberg die Flüsse Itter und Diemel aufgestaut, um bei Bedarf die Weser mit Wasser zu versorgen. Heute ist der Diemelsee zwar immer noch „Speisesee“, es wird jedoch nur selten Wasser abgezapft und der See fungiert hauptsächlich als Erholungsort. An kleinen Anlegern rund um den See sind Segelboote vertäut. Es gibt Boot- und SUP-Verleihe, eine Diemelsee-Fähre und zahlreiche Badestellen – der See ist dank seiner guten Wasserqualität ein herrliches Schwimmgewässer. Auch zum Wandern eignet er sich wunderbar. Zum Beispiel auf dem 17 Kilometer langen Fährschiff-Höhenwanderweg, auf dem ich mit Claudia und Raphael heute unterwegs bin. Er führt einmal um den See herum und dabei sogar über eine Landesgrenze. Letztere verläuft hier schon seit über 700 Jahren. Erst trennte sie Sachsen und Franken, danach eine Zeit lang Kurköln und Waldeck, und heute Nordrhein-Westfalen und Hessen. Und da die Grenze älter ist als der See, verläuft sie durchs Wasser. Die Staumauer liegt deshalb heute in Nordrhein-Westfalen, der Großteil des Sees aber in Hessen.

 

Am Ende des Sees

Nach einer halben Stunde Aufstieg erreichen wir den höchsten Punkt über dem Diemelsee. Der Aussichtspunkt „Gipfel und Steinbruch“ liegt auf dem bewaldeten Eisenberg, 200 Meter über dem See, der links unter uns funkelt. Der Wind zeichnet feine Linien auf die Wasseroberfläche. Und rechts? Schmücken Wiesen und Laubbäume das Tal. Die Staumauer bildet einen sauberen Schnitt in der Landschaft. Es sieht fast unwirklich aus.  

Ich genieße es hier oben auf der Aussichtsplattform. Der Wind pfeift uns um die Ohren und lässt die Blätter der Buchen, Eichen und Eschen rauschen. Mit dem Blick folge ich den Konturen des Sees, der aussieht wie ein kunstvoll und mit zittriger Hand geschriebenes „U“. Rechterhand glitzert der Itterarm, in den der See im Naturschutzgebiet Diemelsee ausläuft. Dahinter erheben sich die bewaldeten Hügel des Hochsauerlandes und des Waldecker Uplandes, die von goldgelben Rapsfeldern akzentuiert sind. Leichter Nebel steigt dazwischen auf. Märchenhaft schön ist es hier oben.

Zu Vogelgezwitscher wandern wir auf geschwungenen Waldpfaden, an denen wir auch ein paar Grenzsteine entdecken, zum Aussichtspunkt St. Muffert. Unter dem schlichten, aus zwei unbearbeiteten Baumstämmen gezimmerten Gipfelkreuz, steht eine Sitzbank, auf die wir uns fallen lassen. Die viele Bewegung an der frischen Luft, der Ausblick über den See, die Natur und vielleicht auch die Präsenz des Kreuzes lassen uns für einen Moment ganz still werden. 

„Der Gipfel St. Muffert ist einer der Sauerländer Seelenorte“, weiß Claudia. Seelenorte seien Plätze, an denen man zur Ruhe kommen kann. Manche hätten einen spirituellen Hintergrund, andere regten zum Nachdenken an, wieder andere stünden einfach nur für Heimatverbundenheit. Jeder dieser Orte hat eine eigene Geschichte, die von Menschen aus der Region, den sogenannten Erzähl-Paten, aufgeschrieben wurde, erzählt Claudia weiter. 43 Seelenorte gibt es im Sauerland, am Diemelsee und im Umland. Auch die Staumauer ist einer davon.

Ein Wald im See

Nach dem Abstieg Richtung Heringhausen passieren wir die Liebesinsel, eine kleine bewaldete Halbinsel, spazieren über die hübsche, schwarz-weiß gepflasterte Promenade von Heringhausen und kühlen unsere Füße am Badestrand. Nachdem wir auch den Campingplatz hinter uns gelassen haben, sind wir schnell wieder allein auf unserer Wanderung. Und betreten mit dem Naturschutzgebiet Diemelsee eine völlig andere Welt. 

Der stete Wechsel von Überflutung und Trockenfallen hat in diesem Naturschutzgebiet eine einzigartige Landschaft entstehen lassen. Ein Wald wächst mitten im See. Die Baumkronen liegen knapp über dem Wasser, hier und da schauen die Spitzen kleiner Büsche heraus. Eine Gruppe Stockenten treibt unter dem dichten Blätterdach, auf zwei aneinander liegenden kahlen Baumstämmen sitzen, wie Hühner auf der Stange, eine Gruppe Kormorane. Tiefer im Naturschutzgebiet stoßen wir nahe des Seeufers auf einen dicken Baumstamm, der oben kegelförmig abgenagt wurde. Den Bau des Bibers entdecken wir einige Meter weiter, aufgestapelt um einen Baum, mitten im See.

Auf den letzten Kilometern bis zur Sperrmauer kommen wir am Fähranleger vorbei. Dort legt gerade das Fährschiff MS Muffert zur letzten Fahrt des Tages in Richtung Heringhausen ab. „Die Überfahrt ist richtig schön“, schwärmt Claudia, „und ein toller Beginn oder Abschluss der Rundwanderung“. Wer nicht wie wir die gesamte Strecke wandern möchte, kann sie mit dem Schiff abkürzen und sich bei der einstündigen Überfahrt Kaffee und Kuchen schmecken lassen. Während Claudia und Raphael weiter zur Sperrmauer spazieren, wo sie ihr Auto abgestellt haben, beschließe ich, zum Abschluss des Tages am Bootsverleih direkt am Fähranleger noch ein Elektroboot zu leihen. Und während ich mit dem kleinen Boot in Richtung Staumauer treibe und den bewaldeten Eisenberg hinauf schaue, fühle ich mich wieder ganz klein.

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