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Aktiv im Winter

Mit dem Rentierflüsterer unterwegs

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Samisches Zeltcamp im Tierpark Sababurg

Wenn Du mit verbundenen Augen in einen versteckten Teil des Tierparks Sababurg geführt wirst, wirst Du Dich fragen: Bin ich jetzt in Lappland gelandet? Die Antwort ist gar nicht so einfach…

 

Wer den Tierpark Sababurg in der Nähe des hessischen Hofgeismar besucht, wird sich vermutlich über das Denkmal einer Sämin wundern, die dort mit einem Rentiergeweih auf einer Bank hockt. Was trieb die Lappländerin nach Hessen? Nun - das kommt davon, wenn der Adel Langweile hat und auf ungewöhnliche Ideen kommt. Fast 450 Jahre ist es her, da wollte Landgraf Wilhelm IV von Hessen-Kassel unbedingt Rentiere in sein Wildgehege am Fuße der Sababurg schaffen lassen. Vielleicht war er ja ein großer Freund des Weihnachtsfestes, denn Rentiere symbolisieren dieses Fest ja bekanntlich wie kaum ein anderes Tier - ohne sie wäre der Weihnachtsmann ja auch ziemlich aufgeschmissen... Da selbst dem Landadel in jenen Zeiten nur wenige Wünsche abgeschlagen wurden, besorgten Wilhelms Vasallen in Lappland gleich ein ganzes Rudel Rentiere für den heimisch-hessischen Bestand. Mit Schiffen und auf Wanderwegen wurden die exotischen Tiere in die neue Heimat geschafft. Eine Begleiterin – unterhalb der Sababurg als wilde Lappenfrau mit Staunen empfangen – wurde gleich miteingeführt, denn irgendwer sollte ja schließlich auch vor Ort über die ideale Haltung und Pflege der Rentiere im Bilde sein.

Uwe Kunze schaut bekümmert, wenn er diese Geschichte erzählt. Was sich anhört wie ein kurioses hessisches Weihnachtsmärchen, entwickelte sich im 16. Jahrhundert schon bald zu einer Tragödie. Erst starb die ganze Rentier-Herde im fremden Land, kurz danach auch die einsame Sämin, berichtet Kunze, ein weißhaariger Bartmann, den man auch mit weit über sechzig Jahren noch locker als kernigen Naturburschen bezeichnen könnte. Ihm und seiner Frau Brigitte ist es zu verdanken, dass im Tierpark Sababurg – mit 130 Hektar Fläche einer der größten Wildparks in ganz Europa – seit einigen Jahren überhaupt wieder Rentiere leben. Wie es dazu kam? Kunze ist ein leidenschaftlicher Freund und Bewahrer der Kultur der Samen – eines Nomadenvolkes, das ohne geographische Heimat in Teilen von Schweden, Finnland, Dänemark und Russland lebt und umherzieht, meistens den Rentieren hinterher. Uwe Kunze und seine Frau haben familiäre Wurzeln sowohl in Deutschland als auch in einem samischen Rentierzuchtgebiet in Nordschweden. So kamen die beiden auf die Idee, die Besonderheiten der samischen Rentierkultur nach Deutschland zu exportieren und sie einem größeren Publikum bekannt zu machen.

Allerdings sind die Kunzes keine Angestellten des Tierparks. Sie haben sich mit ihrer Firma „RENRAIJDvualka“ als eigenständiges „Franchise“ in den hessischen Park integriert und ihm auf diese Weise eine ganz besondere Note verliehen. (Zur Erklärung: Renraijd nennt man den Zug der Rentierschlittengespanne, Vualka ist der südsamische Begriff für „sich auf den Weg machen“.)  Im hinteren Bereich des Tierparks Sababurg mitten im nordhessischen Reinhardswald liegt nun seit einigen Jahren ihr liebevoll und detailverliebt ausgestattetes Lager „Björkträsk“, das durch sein originalgetreues Zeltcamp in einem naturbelassenen Birkenwäldchen genau so beschaffen ist wie ein authentisches Lager der Samen in ihrem natürlichen Lebensraum. Echtes Nordlandfeeling in Hessen – das gibt es so an keinem anderen Ort in Deutschland.

Ein wichtiger Bestandteil dieses Lappen-Idylls ist natürlich die kleine Rentierherde, die sich in Hessen angesiedelt hat und sich offenbar so wohl fühlt, dass sie sich nach einer gewissen Anlaufzeit inzwischen auch auf natürliche Weise vermehrt. Die fluffigen Tiere mit den großen Augen haben Namen wie Biejjie, Nulippa, Neele oder Sölvie und sind so zahm wie ursprüngliche Fluchttiere nur sein können. Wer ganz allgemein mehr über die Kultur der Samen lernen will und speziell etwas über das Wesen des Rentiers, für den haben Uwe Kunze und seine Frau im Tierpark Sababurg einige sorgsam entwickelte Programme im Angebot. So kann man bei ihnen zum Beispiel mit dem „Lappland Nachmittag“ ein Erlebnis buchen, bei dem man im Rentierwald einer Fütterung beiwohnt und bei dem anschließend am Lagerfeuer und im Lavvo – dem lappländischen Nomadenzelt – nordische Geschichten erzählt werden. Auch das amüsante Rentier-Lasso-Werfen gehört zu diesem Programm, zu dem gleichermaßen ganze Firmen, Schülergruppen oder auch Familien willkommen sind. Die attraktivste der angebotenen Touren von Uwe Kunze allerdings ist wohl der Tag im Tierpark, an dessen Ende man den „Rentierführerschein“ erwirbt. Wer den haben will – man weiß ja nie, wozu man ihn mal braucht – darf sein „eigenes“ Rentier auf eine lange Tierparktour selbst führen und erfährt auf der Tour ganz beiläufig alles Wissenswerte ums Rentier und das Volk der Samen. Wichtig ist Kunze, dass jeder Besucher den Tieren wirklich nahekommt und ihre Eigenheiten respektiert. „Wenn ein Tier mal bockt, kann man es aber ruhig mal ein wenig anschieben“ lacht er, auch eine kleine Kommando-Lektion gehört zu seinem Repertoire: „Mit Bua kann man die Tiere anlocken, wer Vänta ruft, bedeutet ihnen, schnell zu bremsen.“

Wer nach einem ereignis- und lehrreichen Tag im Tierpark am Ende dann schließlich noch einmal am Denkmal der einsamen Sämin vorbeikommt, die vor mehr als vierhundert Jahren aus ihrer Heimat nach Hessen „entführt“ wurde und nun auf einer Bank in Hessen hockt, wird nun auch ihren Namen und ihre traurige Geschichte kennen: Die „wilde Lappenfrau“ heißt nämlich seit kurzer Zeit ganz offiziell Suvi-Sara-Aina-Ann, was für die vier Staaten steht, in denen das Volk der Samen heute noch lebt. Der Name wurde ihr 2003 im Rahmen einer feierlichen Zeremonie sozusagen verliehen, für die Vertreter der Samen nach Hessen reisten, um ihre verschleppte Landsmännin nach mehr als vierhundert Jahren zu ehren. Eine schöne, eine melancholische Geschichte – und sicher eine, die auch ganz wunderbar zu der fast aus der Zeit gefallenen Aura passt, die das idyllische Rentier-Lager im Tierpark Sababurg umgibt.


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