Odenwälder Lebkuchen aus der Bäckerei Baumannpreloader-image

Wie in alten Zeiten:

Hessische Weihnachts- und Wintertraditionen

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Von Rauhnächten und Belznickeln

Heubündel für den Esel im Stall des Christkinds, Nächte zum Deuten und Orakeln, Kirchenglockenläuten wie in alten Zeiten: Rund um Weihnachten werden in Hessen uralte Traditionen wieder zum Leben erweckt. Welcher Brauch wirklich wie alt ist, lässt sich heute nur noch schwer sagen – doch wie so oft in Hessen spielen auch hier die Brüder Grimm und ihre Märchen eine Rolle.

Rauhnächte – Schrecken der Finsternis

Den meisten ist Frau Holle wohl als freundliche alte Dame aus dem gleichnamigen Märchen der Brüder Grimm bekannt, die im Himmel ihre Kissen ausschüttelt und es so auf der Erde schneien lässt. Doch kaum jemand kennt sie als vorchristliche Göttin, die zu Zeiten der Christianisierung als Dämon bezeichnet wurde. Damals, als es noch kein elektrisches Licht gab, galt die Nacht als bedrohlich. Ab Einbruch der Dunkelheit ging man nicht mehr vor die Tür. Das lag vor allen an den Geistern und mythischen Gestalten, die dann draußen vermutet wurden. Vor allem in den sogenannten Rauhnächten sollen die wilden Wesen ihr Unwesen getrieben haben.

Die zwölf Rauhnächte bestehen aus den letzten sechs Nächten des alten und den ersten sechs des neuen Jahres. Welch finstere Gestalten in diesen dunklen Phasen draußen ihr Unwesen treiben sollen, ist von Region zu Region unterschiedlich. In der Grimmheimat Nordhessen, rund um den Hohen Meißner, soll der Sage nach Frau Holle die Seelen der Verstorbenen unter die Oberfläche des Frau-Holle-Teichs im Naturpark Frau-Holle-Land locken – auf geführten Fackelwanderungen kannst Du hier zu dieser Zeit mehr über die Legenden erfahren. In anderen Gegenden Hessens sollen der wilde Jäger Wode (auch Odin genannt) sowie die Percht (eine wilde Alte, die dem Frühling den Weg ebnet) und Knecht Ruprecht mit seiner Rute umher wandeln. Im ganzen Land gibt es in den Rauhnächten Lesungen und weitere Veranstaltungen rund um die Mythen der Region. 

Leeheimer Heubündel – Futter für den Esel

10 Uhr am 24. Dezember: Im Innenhof des Leeheimer Heimatmuseums versammeln sich hunderte Familien. Kinder wuseln umher, die meisten haben kleine Heubündel bei sich. Der Brauch rund um diese Bündel ist schon mehr als 150 Jahre alt. Alljährlich holen sich die Kinder im Ort um 10 Uhr die Heusträußchen ab, um sie beim Kirchengeläut um 16 Uhr an die Türen von Verwandten und Freunden zu hängen. Das Bündelchen soll das Futter für den Esel darstellen, der bei Christi Geburt eine Rolle gespielt hat. Er soll damals den Schlitten gezogen haben, auf dem die Geschenke für das Christkind lagen – mit dieser Gabe soll das Tier heute dazu bewegt werden, reichlich Präsente zu den Verwandten zu bringen.

Beggern in Twistetal-Berndorf – welcome fürs Christkind

Acht Männer treffen sich alljährlich an Heiligabend und am ersten Weihnachtsfeiertag an der Kirche in Berndorf, um die Weihnacht einzuläuten. Die Glocken hoch oben im Kirchturm werden zwar längst elektrisch betrieben, doch an diesem Festtag übernehmen das ganz traditionell die acht aus dem Ort mit eigener Muskelkraft. Das Beggern, wie das Läuten hier heißt, ist eine Tradition aus dem 18. Jahrhundert. Das Wort kommt vom altfranzösischen baier, was soviel wie anschlagen bedeutet. Wenn die Männer hoch oben im Glockenturm fleißig die Glocken erschallen lassen, öffnen die Damen im Ort die Fenster und lassen so den Klang und damit auch das Christkind in ihre Häuser.

Christkindwiegen in Korbach und Bad Wildungen

Dieser Korbacher Brauch ist über 470 Jahre alt. Jedes Jahr zu Heiligabend erklimmen die Männer des Ortes die 264 Stufen des 92 Meter hohen Turms und steigen auf den steinernen Umgang. Von dort aus singen sie viermal in alle Himmelsrichtungen den Choral „Dies ist der Tag, den Gott gemacht“, während sie ihre Laternen schwenken und hin und her wiegen. Der Legende nach wurde dieser Brauch während einer Pest-Epidemie eingeführt. Demnach lagen in der Weihnachtszeit jenes Jahres viele Erkrankte in der Kirche – am Heiligabend stiegen Männer mit Fackeln den Turm empor, schwenkten ihre Lichter und sangen Choräle. Daraufhin soll die Epidemie in der Stadt zu Ende gegangen sein.

Auch im nordhessischen Bad Wildungen wird der Brauch gefeiert, allerdings in einer etwas anderen Variante: Jedes Jahr an Heiligabend wird hier „das Christkind in den Schlaf gewiegt“. Nach dem Glockenläuten um 21 Uhr spielen Mitglieder des Musikzugs der Freiwilligen Feuerwehr Bad Wildungen vom Turm der Bad Wildunger Stadtkirche aus weihnachtliche Lieder und Choräle in alle vier Himmelsrichtungen. Bis weit über die Grenzen der Stadt hinaus trägt die kalte, klare Winterluft die Klänge von Posaune, Tuba und Trompete.

Beerfurther Lebkuchen – zu Weihnachten geht’s los

„Knusper, knusper, knäuschen, wer knuspert an meinem Häuschen?“ Ob der Ursprung des Märchens „Hänsel und Gretel“ der Brüder Grimm hier mitten im Odenwald liegt, weiß heute wohl niemand mehr zu sagen. Doch es ist gut vorstellbar, wird der beschauliche Ort bei Reichelsheim (Odenwald) doch jedes Jahr rund um Weihnachten zu einer großen Lebkuchenbäckerei. Familie Baumann produziert hier bereits seit 1785 das traditionelle Gebäck – zu diesem Anlass bis zu vier Zentner am Tag. Jedes Jahr von September bis Ende Dezember pausieren alle Familienmitglieder mit ihren eigentlichen Jobs, um sich ganz den Lebkuchen zu widmen. Seit elf Generationen werden die traditionellen Rezepte weitergegeben und noch heute schmecken die Leckereien genauso wie damals. Nur der Vertrieb hat sich geändert: Gingen die Familienmitglieder einst von Tür zu Tür, werden die Lebkuchen heute auf Weihnachtsmärkte in die ganze Welt geschickt.

Vom Christkind bis zur Stoppelgans – urige Gestalten in Hessen

Neben den jahrhundertealten Traditionen ranken sich um einige hessische Gebiete Sagen und Legenden über urige Gestalten, die hier zu Hause sind, allen voran im Odenwald. Und so sehen vier der wichtigsten Sagenfiguren aus:

Der Belznickel

Er wird auch Nickel, Benznickel, Strohnickel, Storrnickel, Hörnernickel oder – als außerhalb Hessens bekanntester Begriff – Knecht Ruprecht genannt. Der Belznickel ist eine unheimlich aussehende Gestalt mit langem, verfilztem Bart und einem dunklen, zerschlissenen Mantel. Das Gesicht ist in der Regel geschwärzt. Auf seinem Kopf sitzt ein Schlapphut, die Füße stecken in derben Stiefeln und der Rücken ist buckelig mit Stroh ausgestopft. Er führt einen Sack voller Äpfel und Nüsse und eine Rute aus Birkenreisig mit sich. Meistens triffst Du ihn auf Weihnachtsmärkten, als Begleiter des Nikolaus. 

Das Christkind

Es ging aus der Gestalt der Frau Holle, Hulle oder Hulda aus vorchristlicher Zeit hervor. Das Christkind ist in ein langes, weißes Gewand gekleidet, das mit einer goldfarbenen Schnur zusammengehalten wird. Sein Gesicht ist verschleiert oder mit einem Kranz, an dem bunte Bänder befestigt sind, bedeckt. In Hessen verkörpern häufig junge Mädchen das Christkind und verteilen in dieser Rolle Süßigkeiten an Kinder.

Das Mehlweibchen

Das Mehlweibchen ist ebenfalls eine in ein weißes, langes Gewand gekleidete Person. Das Gewand wird mit einem Strick zusammengehalten. Auf dem Rücken unter dem Gewand ist ein Brotkorb festgebunden, als Kopfbedeckung trägt das Mehlweibchen ein weißes Kopftuch. Zu seinem Namen kam es, weil das Gesicht mit Mehl bedeckt ist, um ebenfalls weiß zu erscheinen. Der Ursprung der Figur liegt in der vorchristlichen Zeit und ist ansonsten unbekannt.

Die Stoppelgans

Sie wird auch Strauthinkel oder Gumpf genannt und stellt eine Gans ohne Kopf dar. Eine junge gelenkige Person schlüpft mit den Füßen in die Ärmel eines weißen Nachthemds. Der Kopf wird weit nach vorne gebeugt, dann werden auch die Hände in die Ärmel gesteckt. Auf den Rücken wird ein Kopfkissen gelegt und das Hemd über dem Kissen zusammengebunden. Das Mehlweibchen und die Stoppelgans begleiten traditionell im Odenwald das Christkind.