Kleinstadtliebling Steinau von obenpreloader-image

Steinau

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Die märchenhafte Stadt an der Straße

Dort, wo einst die berüchtigten Spessart-Räuber ihr Unwesen trieben, liegt der Kleinstadtliebling Steinau. An der Straße.

Dieser Zusatz, der auf den ersten Blick wenig malerisch klingt, ist von großer Bedeutung. „Gemeint ist die Handelsstraße Frankfurt-Leipzig, eine der Haupthandelswege vom 16. bis ins 18. Jahrhundert,“ erklärt Martina Jobst. Die geprüfte Gästeführerin hat eindeutig ein Faible für „Die Straße“. „Heute würde man sagen, Steinau lag an der Autobahn des Mittelalters,“ lacht die 53-Jährige. Wie beschwerlich das Reisen zu dieser Zeit allerdings war, lässt ein Blick auf ein Stück original „Straßenhaut“ erahnen. Im Jahr 2003 im Kinzigtal freigespült, lässt sie sich heute im Vorgarten des ehemaligen Amtshauses bestaunen. Kein Stein gleicht dem anderem, die Wagen und Kutschen haben auf beiden Seiten tiefe Rinnen hinterlassen. „Steinau konnte bis zu 30 Fuhrwerke einstellen und beherbergen,“ erzählt Martina Jobst. Gasthäuser wie das historische „Weiße Ross“ hatten auf der Rückseite Scheunen und Ställe, die man immer noch sehen kann. Als mittelalterliche „Raststätte“ erwarb die Stadt im Spessart Ansehen und Wohlstand.

Mutter Geiß

Nicht von ungefähr heißt „Die Straße“ heute Brüder Grimm Straße. Hessens berühmteste Geschwister verbrachten einen Teil ihrer Kindheit hier. Vater Grimm bekam die Stelle des Amtsmanns in seiner Geburtsstadt und noch heute wird in Steinau im Museum Brüder Grimm Haus Geschichte und Erinnerung lebendig gehalten. „Wenn ich durch Steinau gehe, dann fühle ich mich immer in verschiedenste Märchen der Brüder Grimm versetzt,“ schwärmt Martina Jobst. „Man hat hier das Gefühl, gleich kommt jemand aus dieser Zeit um die Ecke, hier ist mein Dornröschenschloss und hier könnte Mutter Geiß mit ihren sieben kleinen Geißlein entlanggelaufen sein.“ Die Figur der Mutter Geiß hat es ihr angetan, sie verkörpert sie auf ihren Märchenführungen. Als eine neue Märchengestalt für Steinau gesucht wurde, wusste Martina Jobst genau, was sie wollte. Etwas Bodenständiges, Bäuerliches sollte es sein. „Wenn ich eine Figur bin, dann bin ich das wirklich. Ich lebe das und spiele nicht nur etwas.“ Das grün-gelbe Kostüm hat sie selbst geschneidert, auf dem Hut prangen echte Ziegenhörner. Die hauseigene Blechschere und die große Holznadel, eine Spezialanfertigung eines hiesigen Schreiners, lassen das Schicksal des bösen Wolfs schon erahnen.

Die Stadtmauer entlang

„In der Märchenführung lasse ich gerne ein paar kleinen Stadtinformationen nebenbei einfließen,“ schmunzelt Martina Jobst. So lässt sie in Ermangelung des Brunnens den Wolf eben im Stadtborn ertrinken. Und führt ihre Gäste damit außerdem an einen ihrer Lieblingsorte. Der Stadtborn war seinerzeit die einzige Wasserversorgung, die innerhalb der Stadtmauer entsprang und somit nicht abgegraben oder vergiftet werden konnte. „Hier haben schon die Brüder Grimm gespielt und dieser Ort hat sich so gut wie nicht verändert seitdem“, erklärt die Gästeführerin. Außerdem liegt der Stadtborn genau dort, wo sich Martina Jobst für ihre Ausbildung als Stadt- und Gästeführerin begeisterte: an der Stadtmauer. 

 „Seitdem ich weiß, was alles hinter dieser Stadtbefestigung steckt, war es um mich geschehen.“ Und so erfährt man von ihr quasi nebenbei, dass die Stadtmauer, die fast komplett verfallen war, von einer Initiative rüstiger Rentner in Eigenregie wiederaufgebaut wurde. Die „Mauerspechte“ erneuerten über 800 Meter der Stadtmauer, mehr als die Hälfte des gesamten äußeren Befestigungsringes der Altstadt. Dafür wurde den tüchtigen Handwerkern sogar der Hessische Denkmalschutzpreis verliehen.

Durch die Wichhäuser zur Kinzig

Auch die urigen Wichhäuser (von ausweichen) entlang der Mauer stecken voll unzähliger Geschichten. „Die Stadtmauer war wie ein Korsett,“ berichtet Martina Jobst, „das wurde immer enger und enger. So bekamen die Bewohner die Erlaubnis, ihre Häuser direkt an die Mauer zu bauen.“ Je unbedeutender die Mauer für die Verteidigung wurde, umso mehr konnte man dann mit der Zeit den Hausbau inner- und auch außerhalb der Mauer verwirklichen. Durch kleine Umgänge direkt an den Häusern blieb die Befestigungsanlage nach außen durchlässig. So kommt man heute noch direkt zur renaturierten Kinzig, die dort fröhlich vor sich hinplätschert, während sich Gärten und Häuser dicht an die Mauer schmiegen.

Der beste Blick

Martina Jobsts absoluter Lieblingsort liegt etwas außerhalb von Steinau. Eine kleine etwa 4km lange Wanderung entlang des Wartenweges führt zur Seidenröther Warte. „Hier habe ich schon mit meinem Mann am Hochzeitstag angestoßen,“ verrät sie. Der rekonstruierte Sandsteinturm ist eine von insgesamt vier Warten entlang des gleichnamigen Wanderweges. Dieser ehemaligen Beobachtungsposten ermöglicht einen wunderbaren Blick auf das Kinzigtal, den Spessart und den Vogelsberg. „Hier sieht man förmlich Napoleons Heerscharen unter dem Kommando des Königs durchs Tal ziehen,“ findet die geschichtsbegeisterte Martina Jobst. Und zaubert gleich noch einen Tipp aus dem Hut: „Der Eselsweg führt hier gleich in der Nähe vorbei. Seinen Namen hat der Weg von den Eselskarawanen im Mittelalter, die Salz zur Einschiffung gebracht haben.“ Heute ist der Eselsweg ein beliebter Fernwanderweg, der als Höhenweg durch die dichten Spessartwälder führt.

Geheimtipps: Vom Theatrium zur Grimm-Bibel und ins Literaturcafé

Seit drei Jahren entführt Detlef Heinichen seine Zuschauer, Große und Kleine, in wundersame Märchen und Geschichten. Im historischen Gewölbe des ehemaligen Marstalls ist eine zauberhafte Spielstätte mit Platz für etwas über 100 Gäste entstanden. Auf der Bühne werden nicht nur Marionetten und Puppen lebendig. Neben den Märchen der Brüder Grimm gehören auch Stücke für Erwachsene zum Repertoire des Schauspielers. Außerdem wird die Bühne für Gastspiele befreundeter Künstler, Schauspiel, Kabarett, Comedy und Musik genutzt.

In der ehemaligen Amtshofscheune befindet sich das Museum Steinau ... das Museum an der Straße“ . Die Ausstellung widmet sich den zwei wichtigsten Themen der Spessart-Stadt. Zum einen erfährt der Besucher, wie das Leben an der Handelsstraße die Stadt und ihre Bewohner geprägt hat. Zum anderen tritt man hier im wahrsten Sinne in die Fußstapfen der Brüder Grimm. Im Eingangsbereich liegt der originale Boden der Scheunentenne, über den schon die jungen Grimms gelaufen sind. Besonders stolz ist das Museum auf seine Grimm-Bibel, die Altarbibel von Friedrich Grimm, dem Großvater der berühmten Brüder. Das Buch aus dem Jahr 1710 lag noch bis in die 70er Jahre in der Katharinen-Kirche aus, bevor es dann - aufwendig restauriert - seinen Platz im Museum fand.

Das Literaturcafé in der alten Apotheke von 1680 ist ein echtes Schmuckstück. In den liebevoll eingerichteten Räumen genießt man ein leckeres Stück Rotkäppchentorte oder Bienenstich, wie sonntags bei Oma auf dem Sofa. Bei schönem Wetter lädt die kleine Terrasse mit Blick auf die Rheinhardskirche zum Verweilen ein. Im Obergeschoss findet sich nicht nur eine kleine Bibliothek zum Schmöckern oder Büchertausch, hier ist auch der Lesungsraum, in dem kulturelle Begegnungen aller Art stattfinden. An musikalischen Abenden oder zu Literaturlesungen haben etwa 20 Gäste im Saal Jacob Platz. Wenn der Schriftsteller im schweren Ohrensessel hinter dem großen Schreibtisch Platz nimmt, entsteht inmitten der offenen Fachwerkbalken eine ganz besondere Atmosphäre.

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