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Flussradwege

Eine Tour auf dem MainRadweg

Copyright Eye Icon© Udo Bernhart

Von Aschaffenburg bis Frankfurt

Saftig grüne Wiesen, schattige Platanenhaine, Kleingärten mit bunt gestrichenen Hütten und der grün glitzernde Main als steter Begleiter: Der Mainradweg schlängelt sich mitten durch das dicht besiedelte Rhein-Main-Gebiet – und dennoch fernab von Hektik und Lärm. Allzu sportlich sollte man diese Tour nicht angehen. Wär schade, denn dann verpasst man viel zu viel

 

Marie und Elena sind nur selten mit ihren Fahrrädern unterwegs. Doch heute haben die beiden Studentinnen den Hörsaal gegen den Radweg getauscht, um die Region besser kennenzulernen. An diesem sonnigen Nachmittag sitzen die beiden im Biergarten der Gerbermühle vor den Toren Frankfurts und sind mächtig stolz auf sich. Hinter ihnen liegt eine 51 Kilometer lange Radtour auf dem Mainradweg von Aschaffenburg bis Frankfurt. Gemeinsam mit Guide Frederik Pfältzer vom Radreiseveranstalter „terranova“ haben die beiden das Mainufer erkundet. Mit der Frankfurter Skyline im Rücken genießen die drei einen erfrischenden Apfelwein. Auf dem Weg zwischen Biergarten und Mainkai fahren Radfahrer vorbei und am Steg legt ein Ausflugsschiff an. „Hach, genau so habe ich mir unsere Tour vorgestellt“, seufzt Elena zufrieden und lehnt sich zurück. Frederik lacht. Normalerweise hat er es mit sportlicheren Gästen zu tun, doch für den Mainradweg ist es absolut in Ordnung, „nur“ Genussradfahrer zu sein. 

Regelmäßig radelt Frederik mit Gästen am Main entlang. „Der Mainradweg war der erste Radweg in Deutschland, der als 5-Sterne-Radweg vom ADFC klassifiziert wurde“, erzählt er. „Das bedeutet, es ist eine perfekt ausgebaute Strecke, super ausgeschildert und sehr abwechslungsreich. Auf seinen insgesamt 530 Kilometern folgt der Mainradweg dem windungsreichen Verlauf des Flusses von seinen beiden Quellen in Bischofsgrün und Creußen bis zu seiner Mündung in den Rhein bei Mainz. 93 Kilometer des Weges führen durch Hessen. Große Städte wie Aschaffenburg, Frankfurt und Mainz wechseln sich ab mit ländlichen Regionen.“ Und genau deshalb haben sich Elena und Marie für die Tour von Aschaffenburg bis Frankfurt entschieden.

 

Am Morgen sind sie unterhalb von Schloss Johannisburg in Aschaffenburg gestartet. Die Stadt, noch auf bayerischer Seite, versprüht italienisches Flair. Sie ist geprägt von sehenswerter Architektur und bildender Kunst aus der Zeit, als sie als Sommerresidenz der Fürstbischöfe des Erzbistums Mainz diente. Schon zu Beginn ihrer Tour radeln die drei direkt an einem weiteren Highlight Aschaffenburgs vorbei. Das Pompejanum, der originalgetreue Nachbau einer römischen Villa, die im Auftrag von König Ludwig I. als Anschauungsobjekt zum Studium der antiken Kultur errichtet wurde, liegt am Hochufer des Mains, wenige hundert Meter westlich von Schloss Johannisburg. Das hellgelbe Gebäude sitzt keck auf einem Felsvorsprung, als wollte es gleich zu einem Sprung in den Main ansetzen. Immer wieder schauen Elena und Marie hinauf und vergessen dabei fast, auf den Radweg zu achten. „Achtung, hier wird es eng jetzt“, ruft Frederik und umkurvt gekonnt den Felssporn, der hier ganz nah an den Main herantritt. Elena und Marie kichern und folgen ihm.

Schnell führt der Radweg aus Aschaffenburg hinaus, an Kleingärten und Feldern vorbei, auf denen Getreide und Mais wachsen. „Das hier fühlt sich wie ein richtiger Urlaub an und nicht nur wie ein einzelner Tag“, ruft Elena den anderen beiden zu und Marie nickt zustimmend. Die drei erleben gemeinsam ganz viel, können sich aber auch gut entspannen, weil alles so leicht geht: Die Strecke ist gut ausgeschildert, meist asphaltiert und eben. „Deshalb ist der Mainradweg so gut für Genussradfahrer geeignet“, schwärmt Frederik. „Radverleihstationen gibt es übrigens auch viele entlang des Mainradweges. Die Räder können an jeden beliebigen Startpunkt transportiert werden. Oder ihr holt sie in Frankfurt ab und fahrt mit dem Zug zum Startpunkt“, so der Guide, dessen durchtrainierte Waden und Oberschenkel von so manch gefahrenen Kilometern zeugen. Für ihn sind die heutigen 50 Kilometer ein Klacks. Der ehemalige BMX- und Mountainbikefahrer ist ganz andere Schwierigkeitsgrade gewohnt. „Meine Leidenschaft zum Radfahren ist schon geweckt worden, da war ich noch ganz klein“, erzählt er, während die drei weiter am Main entlang radeln. „Als Student habe ich dann das Angebot bekommen, als Radguide mein Geld zu verdienen. Heute ist meine Leidenschaft zum Beruf geworden.“ Und auch, wenn er bei seinen Radreisen normalerweise anspruchsvollere Strecken zurücklegt, ist er doch auch gerne in seiner Heimat auf dem Mainradweg unterwegs. „Das besondere an ihm ist, dass man hier mitten durchs Grüne fährt, obwohl man sich in einem riesigen Ballungsgebiet befindet. Man vergisst hier völlig, in was für einem dicht besiedelten Gebiet man eigentlich unterwegs ist.“

Nach etwa einer Stunde Fahrt und einer Mainüberquerung erreichen die drei eines der Highlights auf dem Mainradweg: Das Kloster Seligenstadt. Schon von Weitem sind die drei Türme der heutigen Pfarrkirche St. Marcellinus und Petrus mit ihren anthrazitfarbenen Dachschindeln zu sehen. Das Kloster, das vom 9. bis ins 19. Jahrhundert der Wohnsitz benediktinischer Mönche war, liegt direkt am Mainufer. „Wer hier vorbei fährt, hat wirklich etwas verpasst“, ruft Frederik und lotst die beiden Frauen zum Eingang der Klosteranlage. Hier stellen sie die Räder ab und unternehmen einen Spaziergang durch den 10.000 Quadratmeter großen Konventgarten. Überall summen und brummen Bienen und Hummeln von Blüte zu Blüte, in einem Springbrunnen plätschert das Wasser und von der Terrasse am Klostercafé weht der Wind den Duft von frisch gebackenem Kuchen herüber. Immer wieder bücken sich Marie und Elena, riechen am blühenden Lavendel und an den pinkfarbenen Hibiskusblüten. An einer sandsteinfarbenen Mauer stehen Orangen- und Zitronenbäume, bewacht von kleinen steinernen Engelsfiguren. „Wie gut es im 18. Jahrhundert um das Seligenstädter Kloster bestellt war, könnt ihr übrigens auch bei einem Rundgang durch die Schauräume, allen voran die der Prälatur, erleben“, erzählt Frederik, während die drei zurück zu ihren Rädern bummeln. „Die meisten Räume wurden wieder so eingerichtet und rekonstruiert, wie sie zu Lebzeiten der Mönche ausgesehen haben.“ 

Gemütlich radeln Elena, Marie und Frederik noch durch die historische Altstadt von Seligenstadt zurück ans Mainufer und Marie beschließt: „Hier möchte ich noch einmal herkommen.“ Auch das nächste Ziel der Gruppe besticht durch eine historische Altstadt mit vielen restaurierten Fachwerk- und Steinhäusern. Die ehemalige Stadt Steinheim am Main – heute ein Ortsteil von Hanau – ist bekannt für ihre Burg, in der einst die Herren von Eppstein lebten. Der sandsteinfarbene Bergfried überragt alle anderen Dächer der Stadt und ist schon aus einiger Entfernung zu sehen. „Eigentlich verläuft der Mainradweg nur unten an der historischen Stadtmauer entlang, aber ein Bummel durch die schmalen mit Kopfstein gepflasterten Straßen lohnt sich sehr“, erzählt Frederik. Und recht hat er. Auch, wenn es teilweise steil bergauf geht und alle ihre Räder schieben müssen, sind Marie und Elena begeistert von den bunt bemalten Holzbalken der Fachwerkhäuser, von den alten Eingangstüren und den vielen farbenfrohen Blumen, die vor den Häusern blühen. „Wie auf einer Postkarte.“

 

Von hier aus verläuft der Main fast schnurgerade vorbei an Mühlheim bis nach Rumpenheim. Die Wege zwischen den Ortschaften sind grün, lauschig und ländlich. „Kaum zu glauben, dass wir schon fast in Frankfurt sind“, ruft Marie, während die drei weiter dem Main folgen. „Es ist so idyllisch hier.“ Auf dem Wasser schwimmen zwei Schwäne und große Weiden am Ufer lassen ihre Äste in den Fluss hängen. Hin und wieder liegt ein kleines Boot an einem Steg und im Schilf schnattern Enten und Blesshühner. „Ich finde den Mainradweg ja im Spätsommer oder im Herbst besonders schön“, erzählt Frederik, „wenn die Natur in voller Pracht steht und die Weinreben schön grün sind.“ Kurz bevor der Main einen ausladenden Schlenker in Richtung Offenbach macht, stoppt Frederik die beiden Frauen an einer weißen Mauer direkt am Mainufer. Hinter der Mauer ragt ein dreistöckiges, ebenfalls weißes Gebäude mit grauem Schieferdach empor. Über eine Treppe führt Frederik die beiden in den „Vorgarten“, der einem kleinen englischen Park mit Springbrunnen gleicht. „Das ist das Rumpenheimer Schloss“, erklärt er. „Hier waren schon Kaiser Franz Joseph von Österreich, Russlands Zar Alexander III. oder Englands Königin Mary und der englische König Edward VII. zu Gast.“ Marie und Elena staunen. Gemeinsam umrunden sie das stattliche, u-förmige Bauwerk und gelangen in den schlicht gehaltenen Innenhof. „Im Dezember 1943 setzten Fliegerbomben den unbewohnten Mitteltrakt in Flammen“, erzählt Frederik weiter. „Das Schloss wurde danach aufwändig renoviert und heute leben hier ganz normale Leute. Feudaler lässt es sich in Offenbach kaum wohnen …“ 

 

Eine halbe Stunde und zwei Mainschlenker später kommt das Ziel in Sicht. Immer wieder blitzen nun die markanten Türme der Frankfurter Skyline zwischen den Pappeln hindurch, die über viele hundert Meter schattige Alleen bilden. Der Main wird breiter, die Boote größer. Auch auf dem Mainradweg ist jetzt mehr los. Jogger und Rennradfahrer treffen hier auf Spaziergänger und Genussradler. Gerade am Nachmittag ist auf dem letzten Stück nach Frankfurt viel los. Viele zieht es auch in die kleinen Bars, Cafés und Restaurants vor den Toren der Bankenstadt. „Man kommt von dieser Seite gar nicht nach Frankfurt rein, ohne an zwei der schönsten Gaststätten der Stadt vorbei zu radeln“, erzählt Frederik. „Am rechten Mainufer, direkt vor dem Gebäude der Europäischen Zentralbank, liegt das Oosten mit einer tollen Terrasse direkt am Main, und auf der linken Seite befindet sich die Gerbermühle mit dem Biergarten unter wunderschönen alten Bäumen.“

Genau hier lassen die drei ihren gemeinsamen Tag ausklingen. Die Tische im Biergarten füllen sich zusehends. Die Kellner servieren Apfelwein, Bier oder Weißburgunder aus dem nahegelegenen Rheingau. Auch Elena, Marie und Frederik lassen es sich gut gehen. „Das haben wir uns mächtig verdient“, meint Elena und isst genüsslich ihr Schnitzel mit Frankfurter Grie Soß. Frederik grinst: „So gestärkt können wir ja vielleicht gleich noch weiterfahren“, schlägt er vor. „Von hier aus führt der Mainradweg durch den Taunus und die Weinberge bis nach Mainz. Sind nur noch knapp 40 Kilometer.“ Entsetzt schaut Marie über ihren Teller mit Handkäs’ zu Frederik, der sich vor Lachen den Bauch hält und gemeinsam beschließen die drei, sich die zweite hessische Etappe des Mainradweges ganz bald vorzunehmen.