Regelmäßig schlüpft Brigitte Zimmermann in ihr Alter Ego, das Waschweib, eine mittelalterliche Variante der heutigen Klatschreporterin. Und über die kleine Stadt Zwingenberg hat sie so einiges zu erzählen. Die Kostümführung ist nur eine Variante des Geschichtsvereins, dieses Kleinod an der Hessischen Bergstraße zu präsentieren. Mit seinen knapp 7000 Einwohnern ist Zwingenberg die älteste Stadt der Region. Der Weg führt in Richtung Oberstadt zunächst mal am Schlösschen vorbei. Zu diesem ehemaligen Burgmannensitz und jetzigem Rathaus gibt es dann die erste wunderbare Klatschgeschichte: Angeblich hatte seinerzeit die Edel-Prostituierte Nitribitt unter dem Dach ein Zimmerchen mit eigenem Bad und vergoldeten Delphin-Armaturen. Das war natürlich lange nach der Waschweibzeit und die führt ihre Gruppe nun weiter die steilen Treppen hinauf Richtung Bergkirche.
Hier bietet sich eine herrliche Aussicht auf das mittelalterliche Stadtbild mit der bezaubernden Fachwerkkulisse dichtgedrängter Häuser an Gassen und Plätzen. Ein Blick in die liebevoll gestalteten Gärten in atemberaubender Hanglage inklusive. Dass die Zwingenberger sich mit ihrer Lage am Berg gut arrangieren konnten, zeigt das ehemalige Seiler-Haus auf der Hälfte des Anstiegs. Jede der drei Etagen hat seinen eigenen Eingang, so dass man sich das Treppenhaus sparen konnte. Oben an der Bergkirche angekommen, die übrigens das älteste Bauwerk der Stadtgeschichte ist, schaut man in die Weite des hessischen Rieds bis in die Rheinebene. Unverzichtbar bei dieser Tour: Ein Halt im Hof der Familie von Wallbrunn. Als Arbeitgeber der imaginären Waschfrau Anna liefert die Besitzerfamilie viel Stoff für Klatsch und Tratsch. Die Wiedergabe sämtlicher Brudermorde würde allerdings diesen Artikel sprengen.
Im kleinen Park an den Überresten der ehemaligen Wasserburg spürt man, warum schon die Römer die "Strata Montana" - die Bergstraße - so liebten: eine kleine grüne Oase, liebevoll angelegt und gepflegt. Wenige Schritte genügen dann für eine kleine Zeitreise ins Mittelalter. Um die Brandgefahr zu verringern, mussten die Vorratskammern - die Scheunen - außerhalb der Stadtmauern gebaut werden. Die Scheuergasse ist ein schmucker Zeuge dieser Zeit. Der Blick lohnt sich von beiden Seiten: Am Ende der Gasse bietet sich ein wunderbares Fotomotiv der Stadt Zwingenberg, vor dem beeindruckenden Melibokus, dem höchsten Berg der Hessischen Bergstraße.
Wer sich eine ganz besondere lokale Leckerei nicht entgehen lassen will, schaut einmal beim Abendmarkt im Innenhof des Schlösschens vorbei. Alle zwei Wochen donnerstags in den warmen Monaten von Mai bis September treffen sich dort die Zwingenberger und genießen ihre Spezialitäten. Allen voran den Bergsträsser Kracher. Annette Berg stellt die knusprigen Teigtaschen in ihrer Backstube in Handarbeit her. Regional mit Handkäs oder Grüner Soße, herzhaft als Ziegenkäse-Walnuss-Honig oder mit würzigem Bergkäse. Es gibt sie auch in süß, aber gerade die würzigen Varianten passen besonders gut zum heimischen Wein, den es natürlich auch auf dem Abendmarkt gibt. Die Bergsträsser Kracher sind wie sie heißen ein echter Kracher und auf jeden Fall schon mal eine Reise wert.
Abendliche Unterhaltung findet man in kleinen Cafés und Bars in Zwingenberg. Denn auch hier hat die Kleinstadt vor allem rund um den Markplatz etwas zu bieten. Zum Beispiel das Kulturcafé Piano. Das 400 Jahre alte Gebäude im Herzen der Altstadt ist Veranstaltungslocation und Restaurant gleichermaßen. Der wunderschöne grüne Innenhof lädt gerade im Sommer ein, den ein oder anderen lauschigen Abend zu verbringen. Jeden Mittwoch ist Piano-Abend, ein Treffpunkt für Musiker aus einem großen Umkreis, die Spaß am Musizieren haben. Von Blues über Boogie, Dixieland und Pop Balladen bis hin zu Jazz und Swing ist bestimmt für jeden etwas dabei. Hausgemachtes Essen mit unterschiedlichsten regionalen Einflüssen gibt es hier natürlich auch.
Wer dann noch ein gutes Tröpfchen genießen möchte, ist an der Bergstraße gut aufgehoben. Sie ist nicht nur Heimat des Roten Rieslings, Wiederentdeckung einer uralten Traube und schmackhafter Weißwein aus roten Trauben. Mehr als 600 Winzer keltern im kleinsten Weinanbaugebiet Deutschlands verschiedenste Rebsorten vom weißen Müller-Thurgau bis zum roten Dornfelder. In Zwingenberg lädt beispielsweise das Weingut Simon-Bürkle zur Probe seiner ausgezeichneten Weine ein. Im Sommer genießt man den ein oder anderen edlen Tropfen im fast schon mediterranen Garten von Dagmar Simon und Johannes Bürkle, die das Weingut gemeinsam führen. Deren prämierte Weine waren schon dem Restaurantführer Gault&Millaut einen Eintrag wert. Auch für kleine Gruppen gibt es hier Weinproben nach Anmeldung, bei denen man dann auch den Granitriesling mit der speziellen Note der heimischen mineralischen Böden verkosten kann.
Bergstraße-Odenwald
Zwischen Rhein, Main und Neckar